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Abbas Khider- Dichterlesung am 27.02.2019

Dichterlesung am 27.02.2019 – eine Kritik zu Abbas Khiders Roman „Der falsche Inder“ (M. Thier) Auch in diesem Jahr wird im Rahmen der Dichterlesungen wieder ein Autor das Staffelsee-Gymnasium besuchen. In Vorbereitung darauf haben sich die Schüler der 10a mit dem Erstlingswerk von Abbas Khider auseinandergesetzt. In diesem Rahmen entstand auch die lohnenswerte Kritik, die Sie im Anschluss finden. Eine perfekte Vorbereitung und Einstimmung auf die kommende Veranstaltung!

Abbas Khider „Der falsche Inder“ - eine Kritik von Elisa Beihofer, 10a

 

Wer Abbas Khiders Roman „Der falsche Inder“ gelesen hat, kann mit Sicherheit bestätigen, dass es sich hierbei um ein Werk, das zur Migrantenliteratur zählt, handelt. Nicht nur der Aufbau des Buches ist experimentell, es beschäftigt sich auch mit der Flucht des Irakers Rasul Hamid durch verschiedene Länder. Der Autor, der selbst einen gravierenden Sprach- und Kulturwechsel hinter sich hat, verarbeitet in diesem Buch wohl seine eigenen Erlebnisse. Wenn man vor dem Lesen des Romans ein Interview mit Abbas Khider gesehen hat, ist es schwierig, zwischen der Romanfigur Rasul Hamid und dem Autor selbst zu differenzieren. Sowohl Rasuls Angewohnheit zu schreiben als auch die sich über Jahre ziehende, strapazenreiche Flucht repräsentieren autobiographische Elemente in „Der falsche Inder“, ebenso besitzt Abbas Khider die ungewöhnlich dunkle Hautfarbe Rasuls, wegen der er oft für einen Inder gehalten wird, auch selbst.

Der Roman bringt andere Sichtweisen mit sich, da seine Hauptperson aus einer völlig anderen Kultur stammt und auch die Flucht hautnah miterlebt. Wir Deutschen sind es normalerweise ja gewohnt, nur die Flüchtlinge an sich zu betrachten, weshalb sich die wenigsten mit den Strapazen und unschönen Einzelheiten, die so eine Flucht mit sich bringt, auskennen. Der experimentelle und ungewöhnliche Aufbau des Buches bietet dem Leser unterschiedliche Einblicke in Rasuls Flucht, die ihn unter anderem durch Jordanien, Libyen, Ägypten, die Türkei, Griechenland und Italien führt; in Deutschland ist wider Willen Rasuls, der aufgrund der Möglichkeiten für Asylsuchende eigentlich nach Schweden wollte, Endstation.

Der Roman verrät von vornherein, dass Rasul in Deutschland bleibt, da er in der Rahmenhandlung am Bahnhof in Berlin ein Manuskript seines Lebens findet, das er aber nicht verfasst hat. Der Großteil des Romans „Der falsche Inder“ besteht aus dem Manuskript mit dem Titel „Erinnerungen“, wobei jedes Kapitel aus Rasuls Erinnerungen für sich selbst stehen kann.

In einem relativ angenehmen Schreibstil mit vielen Metaphern, in die man sich erst etwas einlesen muss, erzählt „Erinnerungen“ achtmal Rasuls Flucht, wobei jedes Mal der Fokus auf unterschiedlichen Aspekten liegt, sodass sich insgesamt wenig wiederholt und sich die ganze Geschichte Stück für Stück zusammensetzt. Zunächst geht es um Rasul Hamids Identität und Abstammung, da er nicht genau weiß, ob seine Mutter nun eine Zigeunerin oder die Frau, die ihn großgezogen hat, ist. Hier sucht er ebenfalls nach einer Erklärung für seine dunkle Hautfarbe, wie etwa die glühend heiße Sonne im Irak. Als nächstes widmet sich das Manuskript Rasuls Angewohnheit, zu schreiben und Papier dafür zu stehlen. Sein Bedürfnis, etwas aufs Blatt zu bringen, wird vor allem durch besonders hübsche Frauen hervorgerufen. Generell beschäftigt Rasul sich viel mit dem Äußeren von Frauen, wobei zwar eine gewisse Wertschätzung der Frauen an sich ab und zu durchklingt, doch eher die Körper im Vordergrund stehen. Dies scheint ein wenig fragwürdig, da Rasul Schlimmes – auch mehrmalige Folter und Gefängnisaufenthalte – erlebt hat, jedoch entschied sich Abbas Khider, seine Romanfigur lieber schöne Frauen beschreiben und die traumatisierenden Ereignisse eher im Hintergrund zu lassen. Insgesamt erweckt der Erzähler Rasul den Anschein, als hätte er viel Abstand zu dem damaligen Geschehen, zumindest was die schrecklichen Ereignisse wie den Krieg betrifft. Diese werden oftmals kurz und fast schon emotionslos oder an der Schwelle zur Neutralität abgehandelt. So scheint der Roman auf groteske Weise durch die Verschleierung tragischer Ereignisse humorvoll. Es ist, als wären die schlechten Geschehnisse teilweise ausradiert worden, sodass der Roman eher ein lebensfrohes Werk ist, in dem die Hauptperson nie aufgibt, sondern immer weiterkämpft. Das ist zumindest der Haupteindruck, den man von diesem Buch bekommt, obwohl oftmals die Angst des Flüchtenden durchklingt. Denn trotz seines schlechten Gedächtnisses ist es Rasul nicht möglich, alles zu vergessen. Nur hat er eben einen Großteil der Folter und anderer traumatisierender Geschehnisse vergessen, weshalb der Leser den ungeschönten Monolog Rasuls, der sich oft um Frauen, Schwule und Sex dreht, bekommt.

Trotz dieser eher geschmacklosen oder auch unangebrachten Gedanken beschäftigt sich „Erinnerungen“ auch mit tiefsinnigeren Themen wie Aufschriften auf Wänden und ihrer Wirkung, wie etwa Rasuls Graffitis als Jugendlicher, für die Unschuldige sterben mussten. Noch dazu hält er sich selbst für einen Unglücksraben, der nur Schlechtes mit sich bringt, wohin auch immer er geht. Neben seiner Dankbarkeit für zahlreiche Wunder, die in seinem Leben passiert sind, und für Personen, die ihm bei seiner Flucht geholfen haben, finden sich dann doch Spuren von Rasuls schlimmer Vergangenheit in Form der „Leere“, der er sein Leben lang zu entfliehen sucht, ebenso wie die Erinnerungen an Verstorbene, die ihn für immer verfolgen werden, und das plötzliche Auftauchen ihrer Gesichter in Rasuls Kopf.

 

So schön es auch ist, das Buch zu lesen, wenn man seinen Aufbau verstanden hat, so verwirrend ist es zunächst, die Ereignisse in eine zeitliche Reihenfolge zu bringen, da das Manuskript im Roman nach Themen und nicht nach zeitlicher Reihenfolge geordnet ist. Ebenfalls ein wenig verwirrend ist auch die Rahmenhandlung am Schluss, in der Rasul, zurück in München, unsicher, was er mit dem Manuskript tun soll und wer es verfasst hat, „Erinnerungen“ wieder in den Umschlag, in dem er es gefunden hat, zurücklegt. Trotzdem gelingt es Abbas Khider, einen prägenden Teil des Lebens des Irakers Rasul Hamid und die damit verbundene Orientierungslosigkeit und die im Buch leicht durchscheinende Trauer zu erzählen. 

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